Es ist ja nicht so, dass wir nicht an Anglizismen gewöhnt wären. Wir stylen uns am Morgen, dopen uns mit Vitaminen, googeln kurz die Nachrichten, checken die To-Do-Liste und downloaden
noch das ein oder andere Dokument, bevor wir in die nächste Konferenz jumpen, wo wir brainstormen und vielleicht ein bisschen bluffen, aber hoffentlich niemanden stalken oder gar mobben. Nach
Feierabend gehen wir dann shoppen, um am Ende des Tages endlich zu Hause das Licht zu dimmen und auf der Couch zu chillen. Vielleicht stehen wir ein letztes Mal auf, um Eis zu crushen und uns einen
Drink zu mixen.
Nicht jedes dieser Worte ist unersetzlich, aber seien wir ehrlich, etliche davon gehören inzwischen in unseren Alltag und bezeichnen etwas – treffend und knapp. Wer würde widersprechen, dass
„Brainstormen“ besser klingt als „Hirnschmalz aufwenden“? Warum sich also dem Sprachwandel verweigern, der auch ohne unsere Zustimmung stattfindet, das ergibt keinen Sinn. Und tatsächlich wirken
viele Übersetzungen bemüht, wie man in Frankreich sieht, wo die altehrwürdige Académie française darüber wacht, dass keine überflüssigen fremdsprachlichen Ausdrücke verwendet werden und die
Sprache „rein“ gehalten werden soll.
Aber da ist ein Wort, das gar nicht in meinen Kopf hinein will, jedenfalls nicht, wenn ich Deutsch spreche: nice! In Klasse 5 haben wir gelernt, es ist das englische Wort für „nett“. In
Bedeutung online lese ich, dass „nice“ eine leichte Bedeutungsverschiebung auf dem Weg ins Deutsche erfahren hat. Es gelte aktuell als Synonym für „gut“ und beziehe sich nicht mehr auf
menschliche Charaktereigenschaften wie im Englischen. Von Dekoartikeln, Fahrzeugen und Kleidern bis hin zum Wetter, Aktivitäten oder besonderen Ereignissen sei jede Verwendung denkbar. Aha, jetzt
verstehe ich, warum kürzlich eine junge Frau mein Fahrrad nice fand. In Sprachnudel.de wird konstatiert: „Nice ist ein sehr dezenter Begriff, der in jeder Lebenslage gebraucht werden kann.“ Das
ist ja schön für die derzeitige Reputation von „nice“, aber es schüttelt mich dennoch. Zuerst wird ein Wort sozusagen entkernt, um es dann fast beliebig einzusetzen – gar nicht nice! Wir haben
eigentlich schon „cool“, „super“, oder abgeschwächt „okay“ für sowas. Apropos: Okay, die Jugend muss sich abgrenzen von der etablierten Sprache der Erwachsenen und wenn diese Jugendworte
adaptieren, muss etwas Neues her – aber kann dann bitte mal was richtig Neues erfunden werden? Sowas wie „plouse“ zum Beispiel, wenn’s schon englisch klingen muss?
Als Bela B. 2014 sein Lied „Nicht nice“ schmetterte, war noch „nett“ gemeint. Aber der ist ja schon 60 und wird wahrscheinlich singen, bis die Ärzte kommen (oder gehen). Liebe Jugendliche, ich
gestehe, dass ich „super“, „cool“ und „okay“ auch verwende, verspreche euch aber hoch und heilig, dass ich das mit „nice“ im Deutschen niemals tun werde. Nicht, damit sich das Wort bei euch
länger frisch hält, sondern weil ich es entkernt einfach nicht mag. Wahrscheinlich findet ihr das nice, oder?